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Einleitung: Die Idee der Verteilungsgerechtigkeit

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Wie jeder Student der zeitgenössischen politischen Philosophie bestätigen kann, hat das Theoretisieren über Verteilungsgerechtigkeit im letzten halben Jahrhundert eine beträchtliche Rolle in der Disziplin gespielt. Verteilungsgerechtigkeit hat politische Philosophen anderer historischer Epochen beschäftigt,1 aber niemand kann leugnen – in der Tat ist dies inzwischen ein gut geübter Refrain -, dass seit der Veröffentlichung von John Rawls‘ A Theory of Justice im Jahr 1971 die Debatten darüber, wie wir unsere sozialen und wirtschaftlichen Institutionen gestalten sollten, um die Vorteile und Lasten sozialer Kooperation fair zu verteilen, stark zugenommen haben. Auch kann niemand leugnen, dass diese Debatten einige der tiefsten und drängendsten Fragen der politischen Philosophie betreffen. Zusammen mit der Frage nach der Legitimität des Staates oder der politischen Autorität steht die nach der Verteilungsgerechtigkeit im Zentrum unseres Versuchs, Kriterien zu finden, nach denen wir unsere gemeinsamen politischen Praktiken und Institutionen bewerten und voreinander rechtfertigen können.2

Dieser Band spiegelt die Fülle der Themen wider, die in den zeitgenössischen Debatten über Verteilungsgerechtigkeit behandelt wurden und werden. Die darin enthaltenen Kapitel geben einen Überblick über den Stand dieser Debatten und zeigen die Richtung auf, in die sie sich bewegen oder – nach Ansicht der Philosophen, die diese Kapitel geschrieben haben – bewegen sollten. Bevor ein Überblick über den Inhalt des Bandes gegeben wird, sollen in dieser Einleitung einige Bemerkungen zur Idee der Verteilungsgerechtigkeit gemacht werden: Wie verstehen Theoretiker der Gerechtigkeit, einschließlich derjenigen, die zu diesem Band beitragen, Verteilungsgerechtigkeit im Gegensatz zu anderen Arten von Gerechtigkeit und im Gegensatz zu anderen, nicht auf Gerechtigkeit basierenden Forderungen?

Wie der Begriff der Gerechtigkeit im engeren Sinne, mit dem er oft synonym verwendet wird, ist auch der Begriff der Verteilungsgerechtigkeit auf unterschiedliche Dinge bezogen worden: Gerechtigkeitstheoretiker haben – meist ohne sie explizit anzuerkennen oder zu verteidigen – unterschiedliche Auffassungen darüber vertreten, was die Forderungen der Gerechtigkeit im Gegensatz zu anderen moralischen Forderungen charakterisiert und abgrenzt (z.B. die Forderungen nach Legitimität, Gemeinschaft, Effizienz oder Stabilität, um einige zentrale zu nennen). Sie haben auch unterschiedliche Auffassungen darüber angenommen, was Verteilungsgerechtigkeit im Gegensatz zu anderen Arten von Gerechtigkeit charakterisiert.

Einige haben zum Beispiel angenommen oder behauptet, dass Gerechtigkeit im Gegensatz zu humanitären Anliegen oder Wohltätigkeit unsere vollkommenen Pflichten betrifft, d.h. Pflichten, die bestimmten Individuen geschuldet sind und die keinen Ermessensspielraum für die Entscheidung des Pflichtigen lassen, wie er sie erfüllen soll (siehe Buchanan 1987). Einige haben die Ansicht vertreten, dass Gerechtigkeit die negativen Pflichten betrifft, die wir haben, anderen nicht zu schaden, im Gegensatz zu den Pflichten, anderen zu helfen oder zu unterstützen (Campbell 1974). Alternativ oder zusätzlich haben einige angenommen, dass das, was Pflichten der Gerechtigkeit charakterisiert, darin besteht, dass sie einklagbar sind, d. h. es sind Pflichten, deren Erfüllung eine legitime Autorität mit Zwang durchsetzen kann (Nozick 1974). Was die Verteilungsgerechtigkeit betrifft, so haben einige angenommen, dass sie sich von anderen Arten der Gerechtigkeit dadurch unterscheidet, dass sie nur die Verteilung materieller oder wirtschaftlicher Vorteile oder nur die Zuteilung und nicht die Produktion gegebener Güter betrifft; andere haben stattdessen die Idee der Verteilungsgerechtigkeit mit der der sozialen Gerechtigkeit gleichgesetzt und sie verwendet, um sich auf alle Prinzipien zu beziehen, die den Ausgleich der Ansprüche der Individuen auf alle möglichen Vorteile der sozialen Zusammenarbeit regeln (Rawls 1999; Bedau 1978). Diese unterschiedlichen Verwendungen des Begriffs der Gerechtigkeit und der Verteilungsgerechtigkeit spiegeln unterschiedliche Auffassungen darüber wider, was diese sozialen Werte charakterisiert und sie von anderen moralischen Forderungen unterscheidet, und im Folgenden werde ich einige Schlüsseldimensionen identifizieren, entlang derer solche Auffassungen variieren.

Als Vorbemerkung zu dieser Diskussion ist es hilfreich zu klären, wie sich die Variation, auf die ich hier aufmerksam mache, zu der bekannteren Variation zwischen verschiedenen Interpretationen der Forderungen der Gerechtigkeit oder zwischen konkurrierenden Prinzipien der Gerechtigkeit verhält.

Gerechtigkeitstheoretiker vertreten weithin gemeinsame, abstrakte Konzepte von Gerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit: Sie stimmen darin überein, dass Gerechtigkeit darin besteht, jedem das Seine zukommen zu lassen oder Gleiches gleich zu behandeln; und dass Verteilungsgerechtigkeit Gerechtigkeit bei der Verteilung von Nutzen und Lasten an Individuen ist oder in der Abwägung der konkurrierenden Ansprüche von Personen auf die zur Verteilung anstehenden Leistungen besteht.3 Wie jedoch häufig zu beobachten ist, sind sich Gerechtigkeitstheoretiker uneinig darüber, wie diese abstrakten Ideen zu interpretieren sind, und formulieren dementsprechend unterschiedliche Vorstellungen von Gerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit.4 Entscheidend ist, dass diese Vorstellungen unterschiedliche Auffassungen darüber widerspiegeln, welche Überlegungen relevant sind, um gleiche Fälle gleich und unterschiedliche Fälle ungleich zu behandeln oder um einen Ausgleich der Ansprüche zu bestimmen. Ist z. B. die Bedürftigkeit der Menschen relevant, um den Einzelnen das zu geben, was ihnen zusteht? Ist die Gleichbehandlung von Menschen notwendig, um ihre konkurrierenden Ansprüche gerecht zu regeln?

(S. 3) Die Gerechtigkeitstheoretiker sind sich nicht nur uneinig darüber, was Gerechtigkeit verlangt, sondern auch darüber, welche anderen Merkmale von Gerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit, abgesehen von denen, die die abstrakten Ideen, die von den gemeinsamen Begriffen erfasst werden, charakterisieren, wesentlich sind, um diese Ideen zu verstehen5 und sie von anderen moralischen Forderungen abzugrenzen.6 Diese Variation ist es, die uns hier interessiert: was meinen Theoretiker der Gerechtigkeit, wenn sie sagen, und was folgt aus ihrer Aussage, dass ein bestimmtes Prinzip, das sie als die vertretbarste Interpretation des Konzepts der Gerechtigkeit verteidigen (z.B. Wüste, Bedürfnis oder Gleichheit), ein Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit ist, und nicht, sagen wir, eines der korrigierenden Gerechtigkeit oder ein humanitäres Prinzip?7

Bei der Identifizierung der unterschiedlichen Auffassungen der Theoretiker darüber, was Verteilungsgerechtigkeit charakterisiert, ist es hilfreich festzustellen, dass es vier wesentliche und miteinander verbundene Dimensionen gibt, entlang derer sie dazu neigen, zu variieren, die jeweils (i) die Voraussetzungen, (ii) das Subjekt, (iii) das Objekt und (iv) die normative Bedeutung der Verteilungsgerechtigkeit betreffen.8

(i) Die Voraussetzungen der Verteilungsgerechtigkeit sind die Bedingungen, die gegeben sein müssen, damit Überlegungen zur Verteilungsgerechtigkeit überhaupt relevant sind. David Humes „Umstände der Gerechtigkeit“ sind ein Beispiel dafür: Die meisten zeitgenössischen Theoretiker stimmen mit Hume darin überein, dass sich Fragen der Verteilungsgerechtigkeit nur dann stellen, wenn relative materielle Knappheit herrscht (weder großer Überfluss noch extreme Knappheit bei den Ressourcen, die Menschen brauchen und wollen). Unter diesen Bedingungen gibt es sowohl eine Identität als auch einen Interessenkonflikt zwischen den Individuen, die die Suche nach Prinzipien zur gerechten Lösung widerstreitender Ansprüche sowohl notwendig als auch möglich machen. Das Verständnis von Verteilungsgerechtigkeit als ein Abwägen konkurrierender Ansprüche über das, was verteilbar ist, spiegelt, wie bereits angedeutet, die Akzeptanz der Ansicht wider, dass Ansprüche auf Verteilungsgerechtigkeit nur entstehen, wenn die Umstände der Gerechtigkeit gegeben sind. Dieser Punkt wird von vielen Theoretikern der Verteilungsgerechtigkeit geteilt, aber alternativ oder zusätzlich sind einige der Meinung, dass die Existenz sozialer Kooperation notwendig ist, damit die Forderungen der Verteilungsgerechtigkeit entstehen, da nur im Kontext von Beziehungen der Reziprozität die Individuen Ansprüche auf eine gerechte Verteilung der Güter geltend machen können, die die soziale (S. 4) Kooperation zur Verfügung stellt (Rawls 1971). Eine andere Ansicht besagt, dass Überlegungen zur Verteilungsgerechtigkeit nur dort relevant sind, wo es gemeinsame Institutionen gibt, durch die wir Zwang übereinander ausüben oder die in unserem Namen sprechen (Nagel 2005), da nur diese Praktiken eine Nachfrage nach Rechtfertigung auslösen, die nur dadurch erfüllt werden kann, dass diese Praktiken gerecht gemacht werden. Wir könnten außerdem glauben, dass im Kontext gemeinsamer Institutionen nur die Benachteiligung ungerecht ist, die absichtlich und vermeidbar durch diese Institutionen verursacht wird und nicht das Ergebnis natürlicher Ursachen ist (Nagel 1997).

(ii) Diskussionen über Verteilungsgerechtigkeit konzipieren auch das, was sie charakterisiert, unterschiedlich, je nachdem, was sie als den primären Gegenstand der Verteilungsgerechtigkeit ansehen (siehe Bedau 1978): Sind es die Handlungen der Individuen, die primär gerecht und ungerecht sind, alle sozialen Praktiken oder nur bestimmte Institutionen? Bekanntlich ist Rawls‘ Auffassung von Gerechtigkeit institutionalistisch, in dem Sinne, dass für Rawls die Prinzipien der Gerechtigkeit Prinzipien sind, die primär die Grundstruktur der Gesellschaft regeln. In Anlehnung an Rawls gehen nun verschiedene Theoretiker davon aus, dass das, was die Forderungen der Gerechtigkeit charakterisiert, gerade die Tatsache ist, dass es sich um Forderungen handelt, die (bestimmte) gesellschaftliche Institutionen spezifisch befriedigen müssen (siehe z.B. Scanlon 1998; Tan 2004). Forderungen der Gerechtigkeit bezeichnen nach dieser Auffassung eine Teilmenge der moralischen Überlegungen, die das betreffen, was wir einander schulden, wobei das, was zu ihrer Abgrenzung beiträgt, die Tatsache ist, dass sie einen bestimmten Bereich regulieren sollen.9 Alternativ könnten wir uns die Forderungen der Gerechtigkeit so vorstellen, dass sie sich in erster Linie auf die Verteilung von Lasten und Vorteilen beziehen, die als relevant erachtet werden; in dieser Sichtweise können rechtliche Institutionen, soziale Normen und individuelle Handlungen als gerecht oder ungerecht bewertet werden, je nachdem, ob sie dazu beitragen, gerechte Verteilungen herbeizuführen oder zu stören (Cohen 2008).

(iii) Drittens betrachten verschiedene Theoretiker der Gerechtigkeit den Gegenstand der Verteilungsgerechtigkeit unterschiedlich. Bei einer doppelt engen Interpretation des Objekts der Verteilungsgerechtigkeit bedeutet die Fokussierung auf Verteilungsgerechtigkeit, dass man sich auf die Gerechtigkeit der Mechanismen und Verfahren konzentriert, die nur eine bestimmte Menge von Gütern und nur eine Unterklasse von verteilbaren Gütern verteilen, nämlich verteilbare ökonomische Güter wie Einkommen und Vermögen. Eine breitere Interpretation der Idee der Verteilungsgerechtigkeit nimmt eine großzügigere Sicht der Güter an, deren Verteilung Gerechtigkeitsbedenken aufwirft, und/oder betrachtet produktive Mechanismen sowie allokative Mechanismen als Gegenstand von Gerechtigkeitsanforderungen.

Zum Beispiel könnten wir denken, dass eine Theorie der Verteilungsgerechtigkeit sich darauf bezieht, wie verteilbare Güter, die nicht ökonomisch sind, verteilt werden; oder, noch weiter gefasst, dass sie sich darauf bezieht, wie es den Individuen in Bezug auf alle Aspekte des Vorteils geht, die wir für moralisch relevant halten (zum Beispiel, wie glücklich Individuen sind oder ob sie Anerkennung genießen). Diese Arten von Vorteilen mögen selbst nicht verteilbar sein, aber es ist sowohl wahr, dass Individuen sie in unterschiedlichem Ausmaß genießen können oder Zugang zu ihnen haben, als auch, dass wir das Ausmaß, in dem Personen Zugang zu ihnen haben oder sie genießen können, beeinflussen können, und diese beiden Tatsachen machen es verständlich und sinnvoll, Gerechtigkeitsüberlegungen auf die Verteilung dieser Arten von Vorteilen anzuwenden (S. 5). Eine weite Auslegung der Verteilungsgerechtigkeit kann sich auch mit den produktiven Mechanismen befassen, die beeinflussen, welche und welche Menge an verteilbaren Gütern es überhaupt gibt, anstatt sich nur auf die Mechanismen für die Zuteilung der vorgegebenen Güter zu konzentrieren. Die Idee der Verteilungsgerechtigkeit in diesem weiteren Sinne, die Rawls ausdrücklich befürwortet (Rawls 1971: 88), wird oft mit der der sozialen Gerechtigkeit in Verbindung gebracht. Obwohl sich die meisten Gerechtigkeitstheoretiker darüber ausschweigen, ob sie den Gegenstand der Verteilungsgerechtigkeit in diesem Sinne eng oder weit fassen, haben ihre Prinzipien oft Implikationen dafür, welche produktiven Prozesse sowie eng verteilende Mechanismen vorhanden sein sollten. (Ein einfaches Beispiel ist ein Prinzip, das maximale Chancengleichheit für die Wohlfahrt als eine Forderung der Gerechtigkeit vorschreibt: verschiedene produktive Arrangements sowie Allokationsschemata beeinflussen, wie groß die Bandbreite der Wohlfahrtschancen ist, die die Menschen genießen, und die Verwirklichung der so verstandenen Forderungen der Gerechtigkeit erfordert daher eher die Einrichtung einiger als anderer produktiver Schemata.)

(iv) Schließlich, und das ist entscheidend, konzipieren Theoretiker der Verteilungsgerechtigkeit diese unterschiedlich, je nachdem, welche Sichtweise sie – manchmal explizit, aber meistens implizit – von der normativen Bedeutung der Forderungen der Verteilungsgerechtigkeit haben. Nach den meisten Ansichten bieten uns Überlegungen zur Verteilungsgerechtigkeit sehr gewichtige Gründe für unser Handeln. Mehr noch: Ungerechtigkeit ist nach den meisten Ansichten ein entscheidender Grund für die Änderung von Regelungen: Wie Rawls berühmt feststellte, „müssen Gesetze und Institutionen, egal wie effizient und gut geordnet, reformiert oder abgeschafft werden, wenn sie ungerecht sind“ (Rawls 1971: 3). In einigen Ansichten, wie bereits erwähnt, bieten uns Gerechtigkeitsüberlegungen Gründe für Handlungen, die keinen Ermessensspielraum bei der Entscheidung lassen, was genau wir für andere tun müssen, und in den meisten Ansichten bieten sie uns darüber hinaus Gründe für Handlungen, die durchsetzbar sind, d.h. die von einer ausgewiesenen legitimen Autorität gerechtfertigterweise mit Gewalt unterstützt werden können. Nach anderen Auffassungen sind Gerechtigkeitsgründe jedoch nicht im Wesentlichen handlungsleitend, und die Identifizierung einer Ungerechtigkeit wird als primär evaluative Aufgabe angesehen, die unabhängig davon durchgeführt wird, ob es Gründe gibt, etwas gegen die Ungerechtigkeit zu unternehmen, und sogar unabhängig davon, ob es für irgendjemanden möglich ist, sie zu beheben (Cohen 2008). Gerechtigkeitsgründe verfolgen hier in erster Linie das, was wir zu bedauern haben oder als unerträglich empfinden.

Das Aufspüren von Variationen im Gebrauch des Gerechtigkeitsbegriffs entlang der soeben skizzierten Linien ist aus zwei Hauptgründen hilfreich.

Erstens, weil Theoretiker der Gerechtigkeit sehr unterschiedliche Konzepte der Verteilungsgerechtigkeit verwendet haben, und dies im Allgemeinen implizit, ohne klar zu sagen, was sie meinen, wenn sie behaupten oder verneinen, dass etwas eine Forderung der Verteilungsgerechtigkeit ist, haben sie – und ihre Kritiker – manchmal aneinander vorbei argumentiert. Einige Verteidiger der Identitätspolitik zum Beispiel, die das „Verteilungsparadigma“ (Young 1990) ablehnen, stützen sich auf ein Verständnis von Verteilungsgerechtigkeit, demzufolge es nur um die Verteilung materieller Ressourcen geht. Dies ist ein engeres Verständnis als das, das von vielen Theoretikern der Verteilungsgerechtigkeit vertreten wird. In ähnlicher Weise wurde argumentiert, dass die von G. A. Cohen entwickelte antikonstruktivistische Kritik an Rawls teilweise darauf beruht, dass Cohen ein anderes Konzept von Gerechtigkeit verwendet als Rawls (Willams 2008). Für Rawls sind Gerechtigkeitsprinzipien handlungsleitend, genauer gesagt, sie sind Prinzipien zur Erleichterung der kooperativen Interaktion der Bürger untereinander, also (S. 6) müssen sie solche sein, die die Bürger verstehen können und von denen die Bürger überprüfen können, ob sie von anderen befolgt werden. Für Cohen hingegen müssen Gerechtigkeitsüberlegungen diese besondere soziale Rolle nicht spielen. (Für eine andere Diagnose von Cohens Kritik an Rawls, die auf der Verwendung unterschiedlicher Gerechtigkeitskonzepte beruht, siehe Anderson 2012.) Zu bemerken, dass Philosophen unterschiedliche Konzepte der Verteilungsgerechtigkeit verwendet haben, zeigt, dass einige Meinungsverschiedenheiten eher scheinbar als wirklich sind.

Die Vielfalt der Verwendungen des Konzepts der Gerechtigkeit und der inhaltlichen Verpflichtungen, die dieser Vielfalt zugrunde liegen, in den Vordergrund zu rücken, ist auch aus einem anderen Grund wichtig, der aus der Sicht der Einführung in diesen Band direkt relevant ist. Sobald wir bemerken, dass die Idee der Verteilungsgerechtigkeit auf vielfältige Weise verwendet werden kann und wurde, bekommen wir ein klareres Bild von der großen Bandbreite an Fragen, die von Debatten über Verteilungsgerechtigkeit behandelt werden können. Es wird zum Beispiel deutlich, dass die Sorge um die Verteilungsgerechtigkeit unsere Haltung zu den produktiven Arrangements, die eine gerechte Gesellschaft beherbergen sollte, ebenso beeinflussen kann wie unsere Haltung zur Verteilung dessen, was eine gerechte Gesellschaft produziert; oder dass Theoretiker der Gerechtigkeit sich mit dem ungleichen Genuss von Anerkennung durch Individuen ebenso beschäftigen können wie mit ihrem ungleichen Zugang zu Ressourcen. Wie Michael Walzer hervorhebt: ‚Die Idee der Verteilungsgerechtigkeit hat genauso viel mit Sein und Tun zu tun wie mit Haben, genauso viel mit Produktion wie mit Konsum, genauso viel mit Identität und Status wie mit Land, Kapital oder persönlichem Besitz‘ (Walzer 1983: 3).

In Übereinstimmung mit Walzers Bemerkungen spiegelt die Auswahl der Themen für diesen Band ein großzügiges Verständnis des Geltungsbereichs der Verteilungsgerechtigkeit wider. Der Band beginnt in Teil I mit der Erörterung der wichtigsten konkurrierenden Interpretationen der Forderungen der Verteilungsgerechtigkeit, wie sie in den zeitgenössischen Debatten vorgebracht werden – das, was ich zuvor als „die Hauptfragen“ für Theoretiker der Gerechtigkeit bezeichnet habe. Während alle zeitgenössischen Theorien der Gerechtigkeit von der Annahme ausgehen, dass alle Menschen den gleichen moralischen Status haben und als Gleiche behandelt werden sollten, und damit ein „egalitäres Plateau“ (Kymlicka 1990: 5) teilen, divergieren sie erheblich in der Frage, was genau die Behandlung von Menschen als Gleiche erfordert. Sie divergieren zentral in der Frage, zu welchem Muster in der Verteilung von Vorteilen die Forderungen der Gerechtigkeit beitragen sollen, und in der Frage, was die Währung der Gerechtigkeit ist, d.h. welcher Aspekt der Situation der Menschen unsere Aufmerksamkeit erfordern sollte, wenn wir beurteilen, ob es distributive Ungerechtigkeiten zwischen ihnen gibt oder nicht.

Was das Muster der Verteilungsgerechtigkeit betrifft, so favorisieren einige Theoretiker Umverteilungspolitiken mit dem Ziel, die Kluft zwischen den Bessergestellten und den weniger Wohlhabenden zu mildern oder zu beseitigen (die wir als Verteilungsegalitaristen bezeichnen könnten, oder Egalitaristen simpliciter, die in den Kapiteln 2 und 3 besprochen werden), während andere der Meinung sind, dass diese nur sicherstellen müssen, dass die Schlechtergestellten genug haben oder ihre Grundbedürfnisse befriedigt werden (Kapitel 4), und wieder andere, dass die Verbesserung der Situation der Schlechtergestellten Priorität hat (Kapitel 3). Wieder andere Theoretiker betrachten Umverteilungsmaßnahmen als von der Gerechtigkeit gefordert, insofern sie dazu beitragen, dass es den Menschen so gut oder so schlecht geht, wie sie es verdienen (Kapitel 7), während einige jegliche Umverteilungsmaßnahmen als ungerecht ablehnen, weil die einzigen Rechte, die die Menschen haben, die Rechte auf Nutzung, Kontrolle und Austausch bei voller Steuerfreiheit sind, die gerecht erworbenen privaten Eigentumsrechte (dies sind rechtslibertäre Ansichten, die in Kapitel 6 diskutiert werden).

(p. 7) Gerechtigkeitstheorien nehmen auch Stellung dazu, was die Währung der Verteilungsgerechtigkeit ist: Nach einigen ist es für die Gerechtigkeit relevant, zu welchen Ressourcen die Menschen Zugang haben (siehe Kapitel 1 und 2), während es nach anderen Auffassungen auf die Wohlfahrtschancen ankommt, die die Menschen haben (Kapitel 2), oder auf die effektive Freiheit, wertvolle Zustände des Seins und Handelns zu erreichen (oder „Fähigkeiten“ zu funktionieren, wie z. B. die Fähigkeit, gut ernährt zu sein oder der Krankheit zu entgehen; Kapitel 5 diskutiert den Fähigkeitsansatz im Allgemeinen, in seinen egalitären und nicht-egalitären Varianten).

Diese beiden orthogonal zueinander stehenden Fragen nach dem Muster und der Aktualität der Verteilungsgerechtigkeit haben viele Debatten unter den Vertretern der wichtigsten konkurrierenden zeitgenössischen Gerechtigkeitskonzeptionen strukturiert und leiten im Großen und Ganzen die Aufteilung der Themen auf die Kapitel in Teil I. Da John Rawls und Ronald Dworkin die beiden am besten ausgearbeiteten zeitgenössischen egalitären Theorien vorgelegt haben (die beide Ressourcen als relevant für die Gerechtigkeit ansehen), konzentrieren sich die beiden Eröffnungskapitel auf die Diskussion dieser und verwandter Ansätze (die der „Glücksegalitaristen“), die ihre Inspiration aus der einen oder anderen dieser Theorien bezogen haben. Weitere wichtige damit zusammenhängende Fragen, die in den Kapiteln von Teil I behandelt werden, sind die Rolle der persönlichen Verantwortung für die Gerechtigkeit, die Relevanz der subjektiven Einschätzung der eigenen Situation durch den Einzelnen im Vergleich zu der anderer, um zu bestimmen, ob er ungerechtfertigt bevorzugt oder benachteiligt wird, und die Möglichkeit, egalitäre Verpflichtungen mit der Befürwortung robuster Rechte des Privateigentums an Körper und Geist (und damit einer starken Vermutung gegen Paternalismus) zu vereinbaren, die das linkslibertäre Projekt belebt.

Teil II und III behandeln Fragen, einige inhaltlicher und einige methodischer Art, die im Zusammenhang mit der Debatte über Verteilungsgerechtigkeit weniger häufig behandelt werden.

Wie bereits erwähnt, erkennen alle Philosophen an, dass Verteilungsgerechtigkeit, so wichtig sie auch sein mag, nicht die einzige soziale Tugend ist, die wir aus gutem Grund befürworten sollten, so dass sich Fragen ergeben, wie sich ihre Forderungen zu denen anderer zentraler Werte verhalten, die eine Gesellschaft fördern oder schützen sollte. Die Kapitel von Teil II gehen auf diese Fragen ein. Sie fragen, wie sich die Anforderungen der Gerechtigkeit bei der Bestrafung, von der oft angenommen wird, dass sie eine Bestrafung in Übereinstimmung mit der Wüste erfordert, zu denen der Gerechtigkeit bei den Gütern der sozialen Kooperation verhalten (Kapitel 8); ob und wie die Förderung von unpersönlichen Werten wie Exzellenz in den Künsten oder Wissenschaften oder Umweltgütern, obwohl sie selbst nicht von der Gerechtigkeit gefordert wird, in einer guten Gesellschaft verfolgt werden sollte, und ob dies in Spannung zur Gerechtigkeit stehen würde (Kapitel 9); ob die Sorge um den Wert von Fürsorge und fürsorglichen Beziehungen neben der Gerechtigkeit befürwortet werden sollte (Kapitel 10); und ob eine gerechte Gesellschaft auch eine ist, die die vielfältigen Forderungen von Individuen und Gruppen nach Anerkennung beachtet, einschließlich der Anerkennung der unterschiedlichen Identitäten von Menschen (und damit ihrer Unterschiede), der sozialen Akzeptanz ihres authentischen Selbst und der Wertschätzung ihres Wertes (Kapitel 11). Wie aus einigen der Diskussionen hervorgeht, und in Übereinstimmung mit dem, was auf den ersten Seiten dieses Kapitels gesagt wurde, ist es möglich, die Idee der Verteilungsgerechtigkeit mehr oder weniger umfassend zu konzipieren, und je nachdem, wie weit oder eng wir den Begriff der Gerechtigkeit auslegen, wird sich unsere Ansicht über ihren Platz im Verhältnis zu anderen sozialen Tugenden unterscheiden. (Die Forderungen der Menschen nach Anerkennung zum Beispiel können selbst als etwas betrachtet werden, auf das die Menschen einen auf Gerechtigkeit basierenden Anspruch haben; im Gegensatz dazu wird bei einem (S. 8) engeren Verständnis der Idee der Gerechtigkeit behauptet, dass letztere sich sowohl von den Werten unterscheidet, die von den Verfechtern der Ethik der Fürsorge vertreten werden, als auch potenziell in Spannung zu ihnen steht.)

Die Kapitel von Teil III wenden sich einigen zentralen Fragen zu, die das Wesen unserer Theorien über Verteilungsgerechtigkeit betreffen; dies sind Fragen, zu denen jede Theorie implizit oder explizit Stellung nehmen muss. Setzen unsere Theorien über Verteilungsgerechtigkeit eine bestimmte Sicht der menschlichen Natur voraus? Was würde für die Tragfähigkeit und die Vertretbarkeit einer Theorie daraus folgen, wenn man anerkennt, dass bestimmte menschliche Dispositionen und Wünsche eine evolutionäre Erklärung haben (Kapitel 12)? Entstehen Gerechtigkeitsforderungen nur in einem Kontext, in dem politische Institutionen existieren, und wie verhält sich die Forderung nach der Legitimität unserer politischen Institutionen – die, wie ich bereits erwähnt habe, als eine grundlegende Forderung an unsere gemeinsamen Institutionen angesehen wird – zum Anliegen der Gerechtigkeit (Kapitel 13)? Welche Annahmen über die Natur moralischer Forderungen machen konkurrierende Theorien der Verteilungsgerechtigkeit, und was lernen wir über solche Theorien, wenn wir die entscheidenden Unterscheidungen in der normativen Ethik im Auge behalten, zwischen Konsequentialisten und Nicht-Konsequentialisten, deontologischen und teleologischen Theorien, agentenneutralen und agenten-zentrierten Forderungen sowie vorwärts- und rückwärtsgerichteten Ansichten (Kapitel 14)?

Die letzten drei Kapitel von Teil III befassen sich mit offenkundig methodologischen Fragen, denen Theoretiker der Gerechtigkeit zunehmend Aufmerksamkeit schenken. Von welchen Tatsachen sollten wir bei der Theoriebildung über Gerechtigkeit abstrahieren, und ist der Versuch, Prinzipien zu formulieren, die die Institutionen einer ideal gerechten Gesellschaft leiten würden – einer Gesellschaft, in der wir davon ausgehen, dass sich jeder an die von uns formulierten Prinzipien halten würde und in der die Bedingungen für die Verwirklichung von Gerechtigkeit günstig sind -, ein nützlicher und notwendiger Teil einer Theorie der Gerechtigkeit oder eine unnötige und potenziell irreführende Idealisierung (Kapitel 15)? Was ist die vertretbare Methode zur Begründung von Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit? Wie verhalten sich die scheinbar unterschiedlichen Begründungsmethoden, die von verschiedenen Theoretikern der Gerechtigkeit eingesetzt werden – Konstruktivismus, Intuitionismus und Begriffsanalyse – zueinander (Kapitel 15 und 16)?

Der letzte Teil des Bandes, Teil IV, wendet sich der Diskussion der Forderungen nach Verteilungsgerechtigkeit in verschiedenen Bereichen des sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lebens zu. Die Titel dieser Kapitel sind selbsterklärend. Viele dieser Beiträge befassen sich mit unterschiedlichen, aber wichtigen Themen und können sinnvollerweise zusammen gelesen werden – dies gilt etwa für die Kapitel zu Geschlecht, Familie und Bildung oder für die Kapitel zu kulturellen und religiösen Minderheiten, Sprache, Gerechtigkeit jenseits von Grenzen und Migration. In Bezug auf einige der hier diskutierten sozialen und politischen Themen besteht bereits weitgehende Einigkeit darüber, dass die damit verbundenen Herausforderungen durch die Linse eines Ansatzes der Verteilungsgerechtigkeit fruchtbar analysiert werden können. Dies gilt z.B. für die Verteilung von Bildungschancen, Beschäftigung, den Zugang zu Gesundheit und die Ansprüche auf Ressourcen durch Individuen jenseits der Grenzen. (Dies zu sagen, bedeutet, wie oben bereits angemerkt, nicht, dass die Belange der Verteilungsgerechtigkeit die einzigen Belange sind, die wir in Bezug auf diese Themen anerkennen müssen.) Bei anderen Herausforderungen, vor denen wir stehen, wie z.B. denjenigen, die sich aus der anhaltenden sozialen Spaltung entlang der Rassengrenzen ergeben, und der Notwendigkeit, die Ansprüche zukünftiger Generationen zu beachten, aber auch das Unrecht der Ausbeutung und (S. 9) der Diskriminierung, ist es umstritten, ob die Fragen, vor denen wir stehen, sinnvollerweise als Fragen der Verteilungsgerechtigkeit betrachtet werden können. In den Kapiteln zu diesen Themen wird u.a. diese wichtige Frage diskutiert. Die in den Kapiteln von Teil IV behandelten Themen sollen zwar nicht die Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens erschöpfen, die Probleme der Verteilungsgerechtigkeit aufwerfen, sie stellen aber eine beachtliche Auswahl der zentralen Fälle dar. Die Debatten, die sie überblicken, und die Diskussionen, die sie beitragen, spiegeln gut wider, wie reichhaltig und weitreichend die Verteilungsgerechtigkeit als Bereich der politischen Philosophie ist.

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